Der Bürgerverein und seine Aufgaben

Seit 1902 engagiert sich der Bürgerverein Findorff für den Stadtteil!

Vor genau 85 Jahren – im August 1938 – gab der Bürgerverein der Bahnhofsvorstadt als letzter Bürgerverein Bremens dem politischen Druck der Nationalsozialisten nach und hörte für 14 Jahre auf zu existieren. Er war im Jahr 1902 als „Anwalt der kleinen Leute“ gegründet worden, in Zeiten, als sie in Bremen keine politische Vertretung hatten. Der Bürgerverein hat viele sichtbare Spuren hinterlassen und sorgte dafür, dass Findorff seine Identität als eigenständiger Stadtteil fand – lange bevor es ab 1950 fest umrissene Grenzen und den heutigen Namen gab.

Heute ist das allgemeine Wahlrecht eine solche Selbstverständlichkeit, dass eine Menge potenzieller Wählerinnen und Wähler darauf keinen besonderen Wert mehr legen. Bis 1918 galt in Bremen ein Achtklassen-Wahlrecht. Vor allem eine kleine Minderheit der gut situierten Bremer Oberschicht sicherte damit ab, dass vor allem ihre eigenen Interessen vertreten wurden. Bürgervereine spielten damals die Rolle einer außerparlamentarischen Opposition.  In den Gründungsjahren lag die Bahnhofsvorstadt außerhalb Bremens und des städtischen Bewusstseins, getrennt von der eigentlichen Stadt durch Schienenstränge und das Niemandsland der Bürgerweide.

Der Bürgerverein setzte sich zum Beispiel dafür ein, dass im jungen und rasant wachsenden Quartier eigene Schulen, ein Polizeirevier und ein Postamt eingerichtet wurden, dass die wichtigen Straßen gepflastert und beleuchtet, Sport- und Spielstätten für die Bewohner angelegt wurden und die Vorstadt einen Anschluss ans Bremer Straßenbahnnetz bekam. Soziales Engagement für die bedürftigen Bewohner war ein wichtiger Teil der Bürgervereins-Arbeit – zum Beispiel durch Geld- und Sachspenden für ärmere Mitbürger, oder durch die Einrichtung einer Sterbekasse.  Weiterbildung stand ebenfalls auf dem Programm: Es wurden Referenten eingeladen, die Vorträge über Themen hielten, die die Menschen betrafen – von  Arbeitslosigkeit über Steuergesetze bis zum modernen Spülklosett.

Im  Dezember 1933 trat der Vorstand des Bürgervereins geschlossen zurück, weil er die Umstellung auf das Führerprinzip ablehnte, und wurde durch einen neuen gleichgeschalteten Vorstand im Sinne der politischen Ideologie abgelöst. Im August 1938 folgte das endgültige Aus. Der Verein habe seine Auflösung beschlossen, „weil im heutigen autoritären Staat Adolf Hitlers die Bürgervereine ihre Aufgabe erfüllt haben, diese Aufgaben vielmehr von den jetzt dafür zuständigen Stellen übernommen werden“, formulierte es der damalige Schriftführer.

Erst 14 Jahre später, im April 1952, wurde der Bürgerverein unter seinem heutigen Namen neu gegründet. Den Vorsitz übernahm der Lehrer Hermann Fehse, der auch Mitgründer und bis 1962 Vorsitzender des Verbandes bremischer Bürgervereine wurde. Fehse brachte die Sorgen, die den Bewohnerinnen und Bewohnern Findorffs in der Nachkriegszeit unter den Nägeln brannten, immer wieder deutlich ins Gespräch: Der Ärger über die „dreckigen, stinkigen und nassen“ Bahntunnel zum Beispiel, oder über den „Schandfleck“ zwischen Eickedorfer und Neukirchstraße: Der zugeschüttete Teil des Torfhafens war zum allgemeinen Gerümpel-Abladeplatz verkommen. Der Bürgerverein mahnte die Pflasterung der Hemmstraße zwischen Fürther Straße und Utbremer Ring an, den Bau einer Jugendfreizeitstätte und einer Bezirkssportanlage, die Einrichtung von Spielplätzen und Kindergärten. Ende der 1950-er Jahre war die Mitgliederzahl auf fast 1300 gestiegen, der Bürgerverein veranstaltete Bälle für die Findorffer Jugend im Park-Hotel und lud zu Laternenumzügen ein, denen regelmäßig bis zu 2000 Kinder folgten. Das Engagement wurde stadtweit registriert: 1961 schrieb der Weser Kurier, in Findorff sei „ein Bürgertum ganz eigener Prägung entstanden. Menschen, die ihr Eigentum schwer erwerben mussten, die ihren Stadtteil lieben, und alles dafür tun, damit er lebenswert bleibt.“

Nicht geändert hat sich ein uralter Wunsch: Richtige Vereinsräume, geschweige denn ein eigenes Bürgerhaus, hatte der Findorffer Bürgerverein nie. Zwischen 1978 bis zum Abriss im Jahr 2000 führte der Verein seine Geschäfte im ehemaligen Gebäude des Fleischerei-Einkaufs auf der Bürgerweide.

Anfang der 1970-er Jahre führte Bremen Ortsbeiräte ein, die offiziell die Interessen der Stadtteile vertraten. In den Anfangsjahren gab es in der neuen Rollenverteilung offen ausgetragene Konkurrenzkämpfe ohne übermäßige Sensibilität. „Macht Ihr mal Eure Kaffeefahrten, wir machen die Politik“ – an diese demütigende verbale Ohrfeige eines früheren Findorffer Beiratssprechers erinnerte man sich lange. Heute sind die Zuständigkeiten klar und das Verhältnis kooperativ.

Die herbstlichen Laternenumzüge sind nach wie vor eine Institution im Stadtteil. Seit 1967 hegen und pflegen Vereinsmitglieder ehrenamtlich die historische Jan-Reiners-Lok und den seit 1982 den Springbrunnen auf dem Platz an der Hemmstraße/Ecke Eickedorfer Straße. Seit 2005 organisiert der Bürgerverein alle drei Jahre den festlichen Empfang der Torfkahn-Armada aus dem Teufelsmoor. Mit rund 600 Mitgliedern zählt der Findorffer Bürgerverein nach wie vor zu den größten Vereinen seiner Art.

Anke Velten / Weser-Kurier

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